Türkischer Mokka

Alltagsrassismus in Deutschland

Chiemgau, August 2021. Die Sonne strahlt, der Himmel ist knallblau und wir sind auf dem Weg zum Königssee. Die A8 ist aber teil-gesperrt und wegen der Corona-Beschränkungen lässt Österreich wieder Grenzkontrollen durchführen, weshalb es sich bis an die Landesgrenze staut. Deswegen nehmen wir die Landstraße und genießen entspannt den Anblick des vorbeiziehenden Chiemsees.

Irgendwie bizarr, denke ich während wir durch eine der schönsten Landschaften Deutschlands fahren, ich kann mich wirklich nicht bewusst daran erinnern, jemals an einer deutschen Grenze kontrolliert worden zu sein. Es ist wie eine kleine Reise in die Vergangenheit, so war es wohl früher, vor den offenen Grenzen, vor Europa. Auch ein Blick links und rechts der Landstraße fühlt sich gelegentlich ein kleines bisschen wie ein Fenster in die Vergangenheit an. Kleine Bauernhöfe in der Umgebung, alte Kirchtürme ragen zwischen den Dächern der Dörfer hervor. Erinnert mich auch an meine Kindheit im Kraichgau. Nur eben vor wahnsinniger Bergkulisse.

Und was ist das? Ein kleiner Garagenflohmarkt! Mega! Wir halten an. Ein weißhaariger Mann mit schwarzer langer Lederhose (keine Tracht) und dickem Bierbauch verabschiedet sich mit einer älteren Dame. Er beobachtet uns während wir im Trödel stöbern. Gelegentlich gibt er uns freundliche Erklärungen zu den feilgebotenen Waren. Und dann finden wir einen alten russischen Wasserkocher mit integriertem Wasserspender. Eine Samavar. Ganz aufgeregt und enthusiastisch erklärt er uns die genaue Funktion und die Geschichte des Geräts. Meiner Meinung nach brauchen wir aber keinen Wasserkocher. Wir haben ja schon einen! Meine Unsicherheit scheint mir im Gesicht zu stehen, weswegen mich der weißhaarige Chiemgauer ganz intensiv anschaut und in breitem Bayrisch erklärt:“ Des wird Ihnen gefallen, des eignet sich auch hervorragend für Türkisch´Mokka!“ Ich ahne, welchem Fehler er hier unterlaufen ist, aber ich möchte ihm noch nichts unterstellen und reagiere nur mit einem milden Lächeln. Die Verhandlungsgespräche gehen weiter und führen letztlich zum Erwerb einer russischen Samavar, einer deutschen Auflaufform und zwei Salzstreuern, die angeblich aus Tirol stammen. Der türkisch Mokka Kommentar ist vergessen, Geld wechselt die Hände und wir wollen uns auf den Weg zum Auto machen, als der weißhaarige Lederhosenträger eine Frage stellt, die ich schon so oft gehört habe:“ Wo kommt´s ihr eigentlich her?“ Ich atme tief ein und wieder aus. „Aus Frankfurt“, sage ich, in der unrealistischen Hoffnung, das Gespräch damit beenden zu können. „HA! Naaa! Des mein ich net! Wo kommt´s ihr wirklich her?“ Ich will innerlich schreien. Aber der weißhaarige, dickbäuchige Lederhosenträger hat es ja nicht böse gemeint. Niemand meint es je böse, wenn man diese Frage stellt! Nein, es ist nur Neugierde! Das ist doch nett gemeint. Ich atme tief ein. Ich atme tief aus. „Meine Familie kommt aus Lateinamerika.“ „AH! Wusst ich´s doch. Aber ich dacht halt Türkei. Ich kenne eine Türkin!“. Wow, good for you, denke ich nur und wir verabschieden uns, laden unseren Trödel ins Auto und fahren weiter durch die wunderschöne Landschaft.

Warum macht mich diese Begegnung wütend? Das werde ich oft gefragt. Warum rege ich mich so sehr darüber auf, wenn mein Gegenüber doch eigentlich nur neugierig ist? Darf ich mich dann überhaupt aufregen? Sollte ich es vielleicht einfach ignorieren? Meistens wird mir geraten, solche Situationen einfach anders zu bewerten. Sie als positives Interesse zu betrachten. Ich möchte den Beratenden dann gerne eine Ohrfeige verpassen. Denn was diese Leute hier nicht sehen ist, wie verletzend und beleidigend das ist.

Denn was mir mit dieser Frage unterstellt wird ist, „Du gehörst hier nicht hin. Du mit deinen dunklen Haaren, deinen dunklen Augen und deinem dunklen Teint kannst nicht Deutsch sein.“ Und das nennt man „Alltagsrassismus“ Ja, jeder, der solche Fragen stellt ist ein Rassist. Punkt. Jetzt werden viele aufschreien und sagen, nein! Ich bin kein Rassist! Ich habe doch nur gefragt, ich war einfach nur neugierig und interessiert! Ich sei zu empfindlich und würde überreagieren. Aber nein, das tue ich nicht. Du bist nur zu faul dich mit deinem internalisierten Rassisten auseinanderzusetzen und es ist viel bequemer zu sagen, man habe es ja nicht böse gemeint. Sicherlich hast du es nicht böse gemeint, das weiß ich fast immer. Im Strafrecht gibt eine schöne Formel: „Man muss das Opfer nehmen, wie es kommt.“ Das bedeutet, nur weil das Opfer „empfindlicher“ ist als andere und daher mehr Schaden davon trägt, ändert das nichts am Grundunrecht der Tat und die besondere Konstitution des Opfers kann den Täter dann auch nicht entschuldigen. Das trifft auch hier zu. Rassismus bleibt nun mal Rassismus. Und die Verantwortlichkeit einfach von sich auf die Betroffenen abzuwälzen, ist nicht in Ordnung.

Alltagsrassismus wie dieser begegnet einem leider viel häufiger als man denkt. Es ist keine Ausnahme, die einem Mal im bayrischen Hinterland widerfährt. Nein, auch bei deutschen Großkanzleien in deutschen Großstädten wird man mit dieser Form von Alltagsrassismus konfrontiert. Sei es, dass man wegen der dunklen Haut- und Haarfarbe für die Mitarbeiterin mit dem ausländischen Nachnamen gehalten wird, oder dass Kollegen deinen Ausweis sehen wollen, weil du trotz deines Aussehens mit Nachnamen Müller heißt. Oder dass man dich fragt, warum du kein Türkisch sprichst, einfach, weil du die einzige Nicht-Weiße-Person im Raum bist.

Dabei ist es, meiner Meinung nach, ganz einfach diese Peinlichkeiten zu umgehen. Denn eigentlich ist man stolz auf seine Herkunft. Ich jedenfalls bin stolz auf meine Herkunft und nach einer Weile gewöhnlichen Small Talks werde ich sowieso erklären, woher meine dunklen Haare kommen und wieso ich mehr als eine Muttersprache habe. Dann kann man mir auch positiv neugierige Fragen zu meiner Herkunft stellen, denn ich habe dir die Erlaubnis gegeben, dass du mich nach diesem höchstpersönlichen Thema, das dich grundsätzlich nichts angeht, befragen kannst. Das wäre kniggekonform und respektvoll.

Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Leute dazu Gedanken machen würden. Es würde unserer Gesellschaft guttun.

#dontberacist

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