Pläne planen und Leben leben

Als grundsätzlich organisierter Mensch liebe ich Pläne. Und ich hatte für die vergangenen Wochenenden so viele. Ich wollte es gemütlich angehen lassen; abends nicht wieder ausgehen, sondern einfach den ganzen Tag mit der Kamera rumlaufen oder mich gemütlich in ein Café setzen und wieder etwas schreiben. Es gab so viele Orte die ich noch nicht gesehen hatte und die wollte ich mir alle anschauen. Der letzte Samstag sollte einer dieser entspannten Tage werden. Aber es kam natürlich anders. Wie sollte es auch anders sein?

Mein Plan war einfach. Ich würde gemütlich im Caravelle frühstücken und danach erst einmal auf die Spitze der Estatua de Colon hinauf fahren, um den Ausblick über die Stadt genießen. Es ist immer ein guter Anfang, wenn man sich zunächst einen Überblick verschafft und das im wahrsten Sinne des Wortes. Also spazierte ich wie üblich den Boulevard hinunter bis ich zur Statue gelangte. Was viele nicht wissen ist, dass unter ihr der Eingang zum Fahrstuhl ist, der dich auf die Spitze der Statue bringt. Von dort aus lässt sich die ganze Stadt und der Hafen überblicken. Als ich dies im Büro erzähle sind selbst meine Kollegen überrascht. Wirklich ein etwas unbekannterer Aussichtspunkt und dadurch schnell und fast ohne andere Touristen zu bewältigen. Der Fahrstuhl ist winzig und es passen mit etwas Glück drei Leute hinein. Nicht die beste Idee wenn man unter Klaustrophobie leidet… so wie ich… zumindest ein bisschen. Aber da ich alleine bin ist es nicht so schlimm. Oben angekommen ist nicht bedeutend mehr Platz. Übergewichtige Menschen könnten hier tatsächlich Probleme bekommen, denke ich. Gott sei Dank bin ich ein sehr kleiner Mensch. Ich kann mich ausreichend bewegen und fühle mich wie in einem überdimensionalen Vogelnest. Eigentlich recht gemütlich hier oben. Und die Aussicht ist vor allem heute einfach großartig. Es ist nicht eine Wolke am Himmel zu sehen, man sieht die ganze Stadt auf einmal und ist dennoch nah genug an allem dran, um genau zu erkennen welches Gebäude wo steht. Es ist ein wunderbarer Platz um die Stadt einmal aus der Google Maps Perspektive zu betrachten. Ich genieße meine Aussicht und nutze die vorgenannte App direkt um den besten Weg zu meinem nächsten Ziel auszumachen. Ich will ja vorbereitet sein und möglichst viel sehen auf dem Weg zum Hospital Sant Pau.

Ich fahre wieder nach unten und starte auf der vorgeplanten Route. Nach knapp 500 m höre ich auf einmal Musik. Gute Musik. Donna Summer. Wo kommt das her??? Ich muss dem nachgehen. Es hört sich nach einer Art Feier an. Also verließ ich meine gutgeplante Route und folgte dem Klang der Musik. Donna Summer verstummte und wurde durch spanische Gitarrenklänge ersetzt. Interessanter Mix. Ich muss doch eigentlich gleich da sein. Die schmale Gasse macht einen Knick und dahinter liegt ein breite Straße, die vermutlich normalerweise dicht befahren ist, aber aufgrund einer Demonstration heute morgen noch immer gesperrt war. Auf der anderen Straßenseite liegt die Musikquelle nach der ich gesucht hatte. Ein Foodmarket. Jackpot! Ich beschließe meine Pläne etwas zu verschieben und erst einmal etwas hier zu bleiben. Das Essen sieht wahnsinnig gut aus. Die meisten Stände gehören zu Farmen aus der näheren Umgebung und bieten hier frische Bio Produkte an. Brot, Honig, Popcorn, Kaffee und so viele andere Sachen. An einem Ende wurde eine Feuerstelle aufgebaut und über dem Feuer werden Calcots, eine katalanische Spezialität, geröstet. In der Mitte wurden jede Menge Sitzgruppen aufgebaut, aber die reichten nicht aus, viele Leute saßen etwas abseits auf Decken in Grüppchen mit ihren Familien und Freunden auf den Stufen am Rande eines Spielplatzes. Das ganze Gelände hatte etwas surreales. Durch den Spielplatz und den mit Bäumen bepflanzten Vorplatz wirkte er friedlich und natürlich. Aber dahinter ragten Wände aus mit Graffiti besprühtem Beton hervor und gekrönt wurde das alles durch drei enorme Schornsteine. Diese Kombination aus Bio-vegan- Familien- Park mit Industriellem Ghetto Brutalismus verzauberte mich. Das war genau der richtige Platz für mich. Ich wusste es einfach. Heute war ein besonderer Tag.

Durch den ganzen Grillgeruch bekam ich Hunger. Und durch die gute Musik und die entspannte Musik bekam ich Lust auf ein Glas Wein. Ich fand einen Stand der einen großartigen Gemüseeintopf anbot und hausgemachten Vermuth. Warum nicht, dachte ich mir und nahm beides. Jetzt Musste ich nur noch einen Tisch finden an den ich mich setzen konnte. Aber wo war noch Platz. Es war eigentlich alle belegt. Ich könnte mich zwar irgendwo dazu setzen, aber die meisten waren scheinbar in größeren Gruppen unterwegs und ich wollte mich nicht irgendwo hinquetschen. Eigentlich war mir mehr nach einem ruhigen Platz, an dem ich die Musik, das Essen und das schöne Wetter genießen konnte. Mein Blick schweifte über die Sitzgruppen und scannte die Tische. Da fiel mein Blick auf einen Tisch in der Mitte. Dort saß nur eine junge Frau alleine und malte. Sie hatte sich auf dem Tisch etwas ausgebreitet und war sehr konzentriert auf ihre Malerei. Das war der richtige Tisch. Ich ging auf sie zu und fragte, ob ich mich setzen dürfte. Und ich durfte.

Francis, war ihr Name und sie malte gerade den Popcornstand. Ich war mehr als beeindruckt von ihrem Talent. Sie war wirklich sehr gut. Es faszinierte mich wie fokussiert sie war und wie leicht ihre Pinselführung wirkte. Jeder Strich saß. Jede Linie fügte dem Bild mehr Details hinzu. Es war erstaunlich wie akkurat sie war ohne irgendwelche Vorzeichnungen mit Bleistift anzufertigen. Sie nahm den Tintenstift und malte einfach drauf los. Ich war so beeindruckt, dass ich sie fragte, ob ich sie fotografieren dürfte. Sie lachte, aber erlaubte es mir. Wir unterhielten uns und sie erzählte mir das sie aus England käme und hier Englisch unterrichtete. Sie war schon seit drei Jahren hier und wollte eigentlich gerne noch länger bleiben, würde in sechs Monaten aber wieder nach England zurückkehren, um dort eine Zusatzqualifizierung zu erhalten. Am liebsten würde sie aber nur noch als Künstlerin arbeiten, das war ihre Leidenschaft. Im letzten Sommer hätte sie zum ersten Mal eine Ausstellung gehabt und einige Bilder verkaufen können. Jetzt hatte ich also schon wieder eine Künstlerin kennengelernt. Wunderbar! Ich mochte diese Stadt mit jedem Tag mehr. Wir sprachen über so viele Dinge. Exfreunde, Jobs, kulturelle Unterschiede. Es war erstaunlich wie viel wir gemeinsam hatten und ehe wir uns versahen, begann die Sonne langsam unterzugehen. Wir hatten tatsächlich den ganzen Nachmittag dort verbracht. Da wird am Abend beide auf die LLum gehen wollten, eine Veranstaltung bei der verschiedene Lichtinstallationen in der Stadt  aufgebaut wurden, entschieden wir einfach den Rest des Tages auch zusammen zu verbringen.

Eine Freundin von ihr rief an und wir machten uns auf den Weg zu einem Restaurant in dem sie zu sein schien. Auf dem Weg dorthin liefen wir zufällig an einer kleinen Galerie vorbei in der gerade eine Vernissage stattfand. Und die war öffentlich zugänglich und gratis! Wir verschoben also das Restaurant auf später und unterhielten uns lieber mit der Französischen Künstlerin über ihre Gemälde und tranken mit ihr ein Gläschen Cava. Fran interessierte sich sehr für ihre Technik und die Galerina und die Künstlerin selbst waren mehr als erleichtert dieses Fachgespräch führen zu können, scheinbar waren die vorherigen Besucher selbst keine Künstler gewesen und daher bei weitem nicht so im Thema drin. Mir als Laien machte es unfassbar Spaß! Ich kam mir auf einmal so intellektuell vor. Richtiger Hipster werde ich hier! Alternative Street Food Märkte, Vernissagen, Künstlerpartys, Theatervorstellungen… Großartig!

Letztendlich verließen wir die Vernissage leicht angetrunken und machten uns auf dem Weg ins Restaurant. Dort hatten ihre Freundinnen Amy und Petra schon gegessen. Sie wollten später mit auf die LLum, aber wollten sich vorher noch einmal umziehen. Also gingen sie wieder. Fran und ich blieben noch auf ein Bier und ein paar Pintxos. Da die LLum bereits begonnen hatte machten wir uns direkt auf den Weg dorthin, ein Umweg würde wohl wieder nur zu Verzögerungen führen an diesem Tag. Die LLum fand im Viertel Poble Nou statt und war ein modernes Szeneviertel. Hier hatte auch der Palo Alto Market stattgefunden und das Razzmatazz, ein berühmter Technoclub, war auch hier. Es war ein schönes Viertel und mit den vielen unterschiedlichen Lichtinstallationen kam man sich ein bisschen wie in einem Science Fiction Film vor. Eine Installation mit bunten drehenden Lichtern faszinierte uns beide irgendwie so sehr, dass wir eine Ewigkeit davor saßen und es betrachteten. Dabei tranken wir Bier und unterhielten uns über Dinge die uns momentan bewegten, was wir dachten und fühlten. Diese Lampe hatte uns ganz schön den Kopf verdreht. Wie aus einer Trance gerissen erschraken wir regelrecht, als Frans Handy klingelte. Ihre Freundinnen suchten uns. Wir vereinbarten einen Treffpunkt und wärmten uns in einem Restaurant in der Nähe auf. Dazu gab es ein Glas Gin Tonic. Puh, so viel Alkohol wollte ich eigentlich nicht trinken. Aber, dieser Tag gebot es uns! Wir mussten unser kennenlernen Feiern! Und das taten wir! Spätestens als ihr Freund Sean anrief und sie fragte, wo sie denn bliebe. Es sei schließlich sein Geburtstag. Und so kamen wir zu unserem nächsten ungeplanten Programmpunkt. Aus meinem ruhigen Morgenspaziergang war ein feuchtfröhlicher Event- Party- Tag geworden, der mit einer WG- Party bei mir völlig fremden Leuten gegen 4 Uhr nachts endete. Die Stimmung dort war großartig! Wir tanzten, lachten und tranken bis ich irgendwann merkte wie müde ich eigentlich war und eilig in das nächste Taxi nach Hause stieg. Gott sei Dank war morgen Sonntag und ich hatte erst am Abend einen gemütlichen Besuch in ein Musical geplant…

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